Bon Camino – Wandern in der Toskana

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Wenn man ein Land erläuft, lernt man es am besten kennen. Das jedenfalls schließe ich aus einigen Wanderurlauben, die ich bisher erleben durfte. Diesmal haben wir uns in eine Gegend gewagt, die gar nicht so sehr für ihren Wandertourismus bekannt ist. Aber warum, das ist mir ein Rätsel.


Text und Fotos: Rebekka Pottgüter


Wir jedenfalls haben die Schönheit der malerischen Toskana zu Fuß erkundet und es war eines der bisher bewegendsten Lauferlebnisse für uns. Die Toskana empfängt Wanderer mit vollkommener Ruhe, historischem Charme malerischer Mittelalterstädtchen und traumhaften Sonnenuntergängen. Genuss und Natur ergänzen sich in der norditalienischen Provinz perfekt. Wenn dann unterwegs ein braungebrannter Italiener voller enthusiastischer Lebensfreude ein unterstützendes „Bon Camino, bon Camino!“ aus seinem hupenden und quietschenden Fiat Panda ruft, dann ist man mittendrin im Dolce Vita!

Reisebericht Wandern Toskana Jakobsweg
Foto: Rebekka Pottgüter

Dolce Vita, atemberaubende Naturlandschaften und Wege soweit die Füße tragen

Der Weg von Florenz über Siena nach Montepulciano führte uns über 200 Kilometer sanft gewellter Zypressen-Alleen, steiniger Waldwege und dicht bewachsener Pfade einmal quer durch‘s Chianti-Gebiet. Gesehen haben wir – bis auf die Tage an welchen wir die bekannte Pilgerroute Via Francigena kreuzten – unterwegs kaum jemanden.

Reisebericht Wandern Toskana Jakobsweg
Foto: Rebekka Pottgüter
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Foto: Rebekka Pottgüter

Wir starten in Florenz am Wahrzeichen der Stadt: der Ponte Vecchio, einer bebauten Brücke aus dem 14. Jahrhundert. Obwohl es erst neun Uhr morgens ist, sind die Gassen voll mit Schulklassen, Guided Tours und langen Schlangen vor den Uffizien. Am Fluss Arno entlang verlassen wir langsam die Stadt und lassen den touristischen Andrang nach und nach hinter uns. Langsam kehrt mehr Ruhe ein und wir genießen die beginnende Idylle, als Vögelgezwitscher und Kuckucksrufe die hupenden Autos des berühmt-berüchtigten italienischen Straßenverkehrs ablösen. Bis dahin bedarf es etwas Geduld und wir müssen einige Kilometer entlang von Straßen laufen, was auch im weiteren Tourenverlauf immer wieder vorkommen wird. Es ist wohl ein Zeichen dafür, dass das Wandernetz in Italien noch nicht voll ausgebaut ist. Aber die vielversprechende Silhouette der Landschaft steigert unsere Vorfreude und lässt uns das schnell vergessen. Wir biegen auf einen Wanderweg ab, der uns in die scheinbar unendlichen Weiten der toskanischen Hügel führt. Die erste Unterkunft Agriturismo Vecchio Borgo di Inalbi schließlich empfängt uns idyllisch gelegen mit beeindruckenden Zypressen-Alleen. Nach einem Sprung ins kühlende Nass des Pools genießen wir unsere ersten landestypischen Parpadelle mit Wildschweinragout. Himmlisch!

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Ponte Vecchio, Florenz. Foto: Rebekka Pottgüter

Am nächsten Tag ziehen Gewitter auf, die uns teilweise im Schutz der Gebüsche verharren lassen. Die 30 Kilometer der ohnehin sehr langen Etappe ziehen sich damit sehr in die Länge und machen sich in Beinen und Füßen bemerkbar. Ein grandioses Abendessen- ich bestelle „Gnudi“, Gnocci-ähnliche Ricotta-Bällchen – im absolut ruhig gelegen Agriturismo Podere Marcigliano entschädigen die Strapazen.

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Foto: Rebekka Pottgüter

Die weitere Wanderung führt uns entlang eines Baches weiter durch einen dichten grünen Wald. Diesen müssen wir mehrfach kreuzen und uns dafür so manches mal ein paar Steine zurechtlegen. Das gestrige Gewitter hat die Luft erfrischend abgekühlt und wir genießen die angenehmen Temperaturen. Im Wald stoßen wir auf zwei Hirschkühe, die erst wenige Meter vor uns abspringen. Zahlreiche Trittspuren im feuchten Boden lassen vermuten, dass sie hier nicht alleine sind. Nach vier Stunden Gehzeit erreichen wir Castellina in Chianti, dessen geschichtlichen Ursprünge sich auf die Zeit der Etrusker zurückverfolgen lassen. Während uns die ersten Wandertage zu einsamen Landschaften und abgeschiedenen Unterkünften geführt haben, erleben wir hier im Dorf die geballte italienische Quirligkeit gepaart mit in den Tag hineinlebenden Genuss-Touristen. Vor dem zentralen Palazzo Squarcialupi testen wir ein paar Weine des Weinguts als Castellina, das aus den antiken Gütern der Adelsfamilie Squarcialupi stammt. Seit 1200 ist im Chianti ansässig. Im Untergeschoss des Palazzos kann man den Reifekeller besichtigen, in dessen steinerner Kühle seit dem 15. Jahrhundert große Weinfässer die edlen Tropfen heranreifen lassen.

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Foto: Rebekka Pottgüter
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Foto: Rebekka Pottgüter

Nach Castellina wird die Landschaft sanfter und die Weiten der silbergrünen Hügel öffnen sich vor unseren Augen. Es bieten sich immer neue Ausblicke auf malerische Gehöfte, die durch fast zu perfekte Zypressen-Alleen erschlossen werden. Diese Blicke sind es, die ich zuvor nur von Postkartenmotiven kannte. Auf einem stillen Pfad begegnet uns ein Wildschwein-Frischling, der grunzend überlegt, was er tun soll und dann im Schatten des Waldes verschwindet. Nach einigen Stunden machen wir zwischen leicht abfallenden Weinhängen im kühlen Schatten einiger Eichen Rast und genießen toskanische Salami mit in Olivenöl getränkter Foccacia. Nach der Pause kommt unser erstes Zwischenziel, Siena, spürbar näher. Wir kreuzen noch einige Castellos und Weingüter, bevor wir die monumentalen Stadttore erreichen. Es ist wie eine faszinierende Zeitreise: architektonisch scheint hier alles in seiner Zeit stehengeblieben. Wir legen wir einen Pausentag ein und bewundern majestätische Palazzos, Klöster und Märkte und lassen es uns mit Cappuccino, Pasta und Wein gut gehen.

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Foto: Rebekka Pottgüter

Wir verlassen Siena früh am Morgen durch die Porta Romana in Richtung Süden. Weinhänge werden nun von Getreidefeldern abgelöst, die Waldgebiete ziehen sich nach und nach zurück. Gegen Mittag haben wir Mühe, ein schattiges Plätzchen zu finden. Unsere Ausdauer lohnt sich als wir uns schließen im Schatten einer großen Eiche niederlassen. Einige sonnengebräunte Pilger ziehen langsamen Schrittes an uns vorbei. Es ist das erste Mal, dass wir andere Wanderer sehen. Aber kein Wunder, denn seit Siena befinden wir uns auf der Via Francigena, dem ältesten christlichen Pilgerweg Europas, dessen Ursprünge auf das Jahr 876 zurückgehen.

Am Ende unseres Tages erreichen wir das steinerne Klosterstädtchen Buonconvento und nehmen vom Dorf aus den letzten Anstieg des heutigen Tages. Er lohnt sich, denn einsam auf einem Hügel gelegen, befindet sich das einmalige Agriturismo Percenna. Von hier werden wir später frischgeduscht einen eiskalten Weißwein auf der Terrasse trinken, die uns einen unbeschreiblichen Rundum-Blick auf die nebelige und im Sonnenuntergang sanft verschwimmende Hügellandschaft schenkt. Ein fantastisches hausgemachtes Abendessen lokaler Spezialitäten inmitten der Gastgeberfamilie rundet den Tag ab.

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Foto: Rebekka Pottgüter

Am nächsten Tag verlassen wir die Gegend durch seichte, sich im Wind hin- und her bewegende Gerstenfelder und sind heute größtenteils ohne Schatten der heißen Juni-Sonne ausgesetzt. Früh losgehen lohnt sich, denn mittags zählt das Thermometer bereits 34 Grad. Dementsprechend lang fällt unsere Pause in Montalcino aus. Um dorthin zu gelangen, ist ein schweißtreibender steil bergauf verlaufender Weg zu nehmen. Oben angekommen, lässt sich entmutigend wahrnehmen, dass zahlreiche wohlduftende Flaneure ohne jegliche Anstrengung per Auto hinaufkamen. Wir beruhigen uns damit, dass wir uns das kühlende Fruchtsorbet weitaus mehr verdient haben. Mit dem süßen Kraftschub nehmen wir die letzten fünf Kilometer für heute und erreichen nach einer guten Stunde Villa a Tolli: ein aus dem 12. Jahrhundert stammendes Dorf, das seit den 80er Jahren von einer italienischen Familie restauriert wurde. Neben vier Meter hohen Zimmern historischen Charmes gibt es hier Wein aus eigenem Anbau. Dazu bekommen wir von unserer Gastgeberin Schinken, Pecorino-Käse und Brot – beides genießen wir im absolut abgeschiedenen, liebevoll angelegten Kräutergarten.

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Von Villa a Tolli führen uns Schotterwege über wohlgeformte Hügel und schenken uns immer wieder Ausblicke ins nächste Tal. Mit über 150 zurückgelegten Kilometern in den Sohlen zehren die Strapazen des Weges langsam an unseren Kräften. Als wir mit schmerzenden Füßen unser nächstes Etappenziel Bagno Vignoli erreichen, können wir unser Glück kaum fassen: unterhalb des Städtchens eröffnen sich zwei Naturbadebecken, die von warmen Quellen gespeist werden. Im Nu sind wir im flachen Wasser, das eine heilende Wirkung für körperliche Beschwerden wie Gelenkschmerzen verspricht. Besser könnte es nicht sein! Das hübsche mittelalterliche Städtchen gruppiert sich um ein weiteres angelegtes Wasserwerken. Es wurde früher zum Baden genutzt, ist heute aber einfach so etwas wie der „Marktplatz“, zu dem sich die Restaurantterrassen ausrichten.

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Foto: Rebekka Pottgüter

Früh am nächsten Tag verlassen wir das Städtchen über einen Anstieg, der uns über die alten Festungsmauern Vignoni Altos in Richtung San Quirino d’Orcia führt. Die Landschaft ist atemberaubend. Wohl jeder kennt die Szene aus dem Film „Gladiator“, in der Russell Crowe gedanklich durch die weichen Getreidefelder streift und nach siegreichen Schlachten entlang herrschaftlicher Zypressenalleen zu seinem hier verorteten Landgut zurückkehrt. Weizen- und Gerstenfelder, Zypressen, Weinberge und kleine Gehöfte schmiegen sich an die sanft gewellte Landschaft. Kurz nach 12 Uhr erreichen wir die Stadt Pienza und überbrücken im Schatten der historischen Mauern auf dem Marktplatz die gleisende Mittagshitze. Bei Eis und Espresso beobachten wir das Treiben der Altstadt-Gassen. An die Ruhe der toskanischen Landschaft gewöhnt, sitzen wir mittlerweile lieber beobachtend am Rande, als uns selbst ins Getümmel von geführten Stadttour-Gruppen, wild diskutierenden italienischen Großfamilien und Biker-Trupps zu stürzen. Von Pienza aus haben wir noch 1,5 Gehstunden vor uns, um in eines der wohl schönsten Dörfer unserer Reise zu gelangen: Monticchiello. Wir erreichen es durch einen steilen Waldanstieg. Der Ausblick in das Val d’Orcia ist grandios. In der Ferne erkennen wir Pienza, das sich später im Licht der Abendsonne mit seinem Kirchturm als Schatten am Horizont abzeichnet. Im Dorf empfängt uns unser freundlicher Gastgeber des charmanten B&Bs La Lanciotta. Jeder kennt sich hier, Katzen streunen um uns herum und wir genießen die Ruhe, als alle Tagestouristen wieder abgereist sind. Viele Unterkünfte gibt es hier nicht, dafür umso mehr charmante Restaurants.

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Foto: Rebekka Pottgüter

Der letzte Tag unserer Wanderung führt uns nach einem ausgedehnten Frühstück im Garten der Gastgeber-Familie in Richtung Montepulciano. Es bieten sich verschiedene Touren an: Entweder der längere, landschaftlich abwechslungsreiche Weg über 33 Kilometer oder – und dafür haben wir uns schlussendlich entschieden – der direkte Weg, der nur knapp 10 Kilometer beschreitet. Auch Montepulciano liegt als mittelalterliche Hügelstadt am höchsten Punkt der Etappe. Die Stadt erhebt sich mondän über die teilweise bewaldete, teilweise mit Olivenhainen oder Weinreben bepflanzte Landschaft. Und an den obligatorischen, schweißtreibenden Aufstieg am Ende der Etappe haben wir uns schließlich schon gewöhnt. Montepulciano belohnt mit fabelhaften Ausblicken zu allen Himmelsrichtungen, die man von verschiedenen Pizzas entlang der hoch oben gelegenen Stadtmauern genießen kann. Scheinbar alle engen, steinernen Gassen enden mit einem Blick ins weite Grün. In der Stadt sollte man sich für die Besichtigung der historischen Weinkeller, einen Espresso im Café Poliziano, einen Aperitif in der Vineria di Montepulciano und den Besuch einer der zahlreichen gemütlichen Restaurants Zeit nehmen. Wir haben das Glück, in einem historischen, 2017 liebevoll restaurierten Palazzo (Dimona Dell’ Erbe Rooms) zu nächtigen, der das Montepulcianer Lebensgefühl hautnah spürbar werden lässt.

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Foto: Rebekka Pottgüter

Montepulciano ist der Zielort unserer Wanderung. Am liebsten wären wir noch viel weiter gelaufen – vielleicht beim nächsten Mal ja bis Rom! Aber schon jetzt nehmen wir bleibende Eindrücke und Erinnerungen mit. Die Poesie der toskanischen Hügel, das warme Licht der Abendsonne und der unbekümmerte historische Charme der kleinen Städtchen sind am Ende noch schöner, als es die Postkartenmotive abbilden können.

Zusammengefaßt:

Etappen: Wir sind in 9 Etappen gelaufen, davon die längste 33 km. Das ist nur für geübte Wanderer mit guter Ausdauer möglich. Die Strecke lässt sich aber locker auch auf mehr Tage verteilen.

Höhenmeter: Unsere Uhr zählte bis zu 1.700 Höhenmeter (inkl. hoch und runter) pro Tag. Die Hügellandschaft ist also nicht zu unterschätzen.

Beste Jahreszeit: Frühjahr oder Herbst  – Wir waren Ende Mai unterwegs und es war teilweise schon etwas zu heiß.

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