Der Besuch auf einer der ostfriesischen Inseln ist landläufig immer mit einer Anfahrt per Fähre verbunden. Es geht aber auch deutlich entspannter und individueller: Entdecken Sie mit uns die Insel Baltrum zu Fuß – per Wattwanderung!
– von Werner Menzel-
Fotos: werner-menzel.de
Bodenständigkeit im wahrsten Sinne des Wortes offenbart die Nordsee insbesondere bei Ebbe: Wenn die Wassermassen sich zurückziehen und das Watt seine Vielfalt und Schönheit preisgibt, beginnt für viele Urlauber das „sinnlichste“ Erleben des Weltnaturerbes in Deutschlands Norden, nämlich die Wattwanderung.
Sicher durch Priel und Schlick
Früh am Morgen treffen wir unsere Wattführerin Jessica im Hafen von Neßmersiel, die uns trotz leicht erhöhtem Wasserstand in den bei Ebbe verbleibenden Prielen sicher auf die „Dornröscheninsel“ bringen will. Nach einem letzten Blick auf die richtige Fußbekleidung (am sinnvollsten sind leichte Turnschuhe) geht es durch die Salzwiesen hinaus durch ein paar hundert Meter Schlickwatt. Hier sollte man schon gut zu Fuß sein, denn gerade diese erste Hürde hat ihre glitschigen Tücken. Ist dann das feste Sandwatt erreicht, geht es deutlich flotter voran. Dieses Sandwatt entsteht, wenn durch stärkere Turbulenzen während des Gezeitenwechsels schwerere und größere Körner auf den Grund sinken und für einen besseren Stand sorgen.
Leckere Gewächse für unterwegs
Eine Wattwanderung sollte grundsätzlich nur in Begleitung eines Wattführers durchgeführt werden, erfahren wir von Jessica, da bei einsetzender Flut zuerst die Priele geflutet werden und der Rückweg dadurch abgeschnitten werden kann. Eine weitere Gefahr bildet Seenebel, der plötzlich auftreten kann und die Orientierung erschwert. Unsere Wattwanderung zur Insel Baltrum zählt zu den beliebtesten Wattwanderstrecken, bietet sie doch die meiste Abwechslung von allen. Das erfahren wir schon bei der ersten kleinen Pause, als wir den „Queller“, ein typisches Gewächs der Salzwiese, quasi erntefrisch kosten dürfen. Auch ein Happen leckerer Algen erwartet uns hier, bevor wir den ersten Wattwurm entdecken.
Artenreichtum zeichnet das Watt aus
Mit mehr als 500 verschiedenen Tier- und Pflanzenarten ist der Randbereich des Watts besonders artenreich. Durch die Flut gelangen zweimal täglich neue Rohstoffe und damit auch Nahrungspartikel ins Watt. Diese nährstoffreichen Sedimente lagern sich am Boden ab und bilden zusammen mit dem Plankton einen fruchtbaren Nährboden für Kleintiere. Was kaum ein Besucher des Wattenmeeres weiß: Auf einem Quadratmeter Wattboden gibt es mehr organische Lebewesen, als zum Beispiel im Urwald!
Gleich nach diesem Stopp beginnt die erste von drei Priel Überquerungen auf unserer Tour. Das Wattfahrwasser reicht jetzt bei Ebbe von wadentiefen- bis ein wenig über knietiefem Wasserstand. Auf unserem Trip zur Insel begegnen uns auch die meisten Lebewesen des Wattenmeeres: Tausende von Wattschnecken und Schlickkrebsen die uns durch das Schlickwatt begleiten, Garnelen die wir sehen und fühlen wenn wir durch einen Priel waten und Krebse und Krabben, die uns plötzlich die Vorfahrt nehmen.
Etwas Fitness muss schon sein
Eine Wattwanderung nach Baltrum dauert je nach Wasserstand etwa drei bis dreieinhalb Stunden und erfordert schon eine gewisse körperliche Fitness. Dafür entschädigt der Weg aber auch mit purer Wattluft und unvergesslichen Einblicken in den sensiblen Lebensraum Wattenmeer. Dieser Lebensraum wird insbesondere durch äußere Einflüsse mehr und mehr bedroht. Viele davon sind menschlichen Ursprungs, wie Eindeichungen und Entwässerungsmaßnahmen, aber vor allem auch Einleitungen von Umweltgiften und das ständig größer werdende Problem Mikroplastik. Wer sich also auf eine Wattwanderung begibt, sollte sich der Einzigartigkeit dieses Lebensraumes bewusst sein und sich entsprechend umsichtig verhalten. Wenn dann, kurz vor Erreichen des Zieles auf der Insel Baltrum, noch frische Austern für eine unerwartete und äußerst schmackhafte Stärkung sorgen, ist der Vormittag perfekt gelaufen.
Inseltrip und Robben zum Abschluss
Wer nach dieser Wattführung noch mehr Bewegung haben möchte, kann bei einem ausgedehnten Inselrundgang weitere Kilometer machen. Baltrum bietet einen langen Sandstrand für Sonnenhungrige, Spaziergänger und Sammler, sowie ein abwechslungsreiches Inselinneres. Insbesondere während der Saison ist die Auswahl der heimischen Gastronomie groß, im Frühjahr und Herbst sollte man sein Lunchpaket mit im Rucksack haben.
Der Beiname „Dornröscheninsel“ hat in der Vor- und Nachsaison seine ganz besondere Bedeutung, die von vielen Besuchern explizit geschätzt wird. Zurück zum Festland geht es wegen der jetzt einsetzenden Flut mit dem Schiff der Reederei Baltrum Linie. Von Bord aus können wir nun die Wanderstrecke des Vormittags noch einmal Revue passieren lassen und bekommen sogar noch ein Schmankerl obendrauf: Auf der Seehundbank am Ostende von Norderney haben sich heute über 100 Tiere gemütlich niedergelassen und lassen den Tag ebenso entspannt ausklingen wie wir.