Kreta, die größte der griechischen Inseln, offenbart sich als ein faszinierendes Mosaik aus atemberaubender Natur, jahrtausendealter Geschichte und lebendigen Traditionen. Abseits der bekannten Touristenströme locken hier verborgene Schätze, die nicht nur das Auge, sondern auch den Gaumen und die Seele berühren – von dramatischen Landschaften über beeindruckende historische Stätten bis hin zu einer jahrhundertealten Olivenölkultur.
Autor: Werner Menzel
Fotos: werner-menzel.de
Ein Kaleidoskop aus Landschaften
Schon bei der Ankunft fällt Kreta durch seine landschaftliche Vielfalt auf. Weitläufige, sonnenverwöhnte Strände und azurblaues Meer wechseln sich ab mit imposanten Bergen, tiefen Schluchten und sanft geschwungenen Hügellandschaften. Im touristisch geprägten Norden der Insel erstrecken sich kilometerlange Sandstrände, an denen das kristallklare Wasser zum Eintauchen einlädt. Doch gerade die weniger bekannten Orte im Inselinneren und vor allem im Süden haben uns bei einer Stippvisite im Herbst beeindruckt: Zwischen schroffen Felsformationen und uralten Olivenhainen schlängeln sich enge Pfade und Gebirgstäler, die Besucher zu ausgedehnten Wanderungen einladen. So bietet beispielsweise das Tal von Zaros – umgeben von grünen Olivenhainen und charmanten Dörfern – einen authentischen Einblick in das ländliche Kreta, fernab von überfüllten Strandpromenaden.

Stille Naturwunder
Auch abseits der klassischen Highlights findet man Naturwunder, die in ihrer ursprünglichen Schönheit unberührt wirken. Die weltberühmte Samaria-Schlucht ist ein solches Naturwunder. Mit einer Länge von rund 16 Kilometern bietet sie nicht nur beeindruckende Felsformationen und eine reiche Flora und Fauna, sondern auch einen spektakulären Blick auf die umliegende Gebirgslandschaft. Obwohl sie besonders in der Hochsaison gut besucht ist, lohnt sich eine frühmorgendliche oder spätnachmittägliche Tour, um die Stille und Urwildheit der Schlucht abseits der größten Besucherströme zu genießen. Eine wesentlich ruhigere Alternative sind der Imbros-Schluchtpfad und das idyllische Agia Irini-Tal für ruhesuchende Wanderer.

Zu Gast in den Hippie Höhlen
Der als „Hippie Dorf“ bekannte Ort Matala im Süden der Insel ist ein einzigartiger Ort mit einer reichen Geschichte. Es liegt in der Nähe des antiken Palastes von Phaistos und hat sich zu einem Trendziel für Touristen entwickelt, die eine authentische Hippie-Erfahrung suchen. Die Wohnhöhlen sind ein wichtiger Aspekt dieses Dorfes. Sie wurden in den 1960er Jahren von Hippies aus verschiedenen Ländern erbaut und bewohnt, die nach Kreta gekommen waren, um eine alternative Lebensweise zu führen. Die Höhlen sind in Sandstein gehauen und haben ihre einzigartige Ästhetik bis heute bewahrt. Neben den Wohnhöhlen gibt es in dem Dorf auch eine Reihe von Restaurants, Cafés und Geschäften, die ein entspanntes und authentisches „Hippie-Feeling“ bieten. Einzig die Parkmöglichkeiten rund um Matala sind mehr als „übersichtlich“.

Historische Schätze im Schatten der Zeit
Kreta ist ein lebendiges Geschichtsbuch, in dem die Spuren der minoischen Zivilisation ebenso wie römische, byzantinische und venezianische Einflüsse zu finden sind. Natürlich darf der berühmte Palast von Knossos nicht unerwähnt bleiben – ein Symbol der Minoer, das allerdings aufgrund seiner Bekanntheit oft überlaufen ist. Wer einen tieferen Einblick in die bewegte Vergangenheit der Insel sucht, sollte sich den weniger frequentierten, aber mindestens ebenso faszinierenden historischen Stätten zuwenden. So beeindruckt uns beispielsweise die antike Palastanlage von Phaistos im Süden Kretas. Hier verbinden sich die Ruinen mit einer spektakulären Aussicht über die umliegende Landschaft – ein Ort, der Geschichte und Natur in harmonischer Einheit präsentiert.
Olivenöl – Das flüssige Gold Kretas
Ein weiterer, untrennbarer Teil der kretischen Identität ist die jahrtausendealte Tradition des Olivenanbaus. Über weite Teile der Insel verstreuen sich uralte Olivenhaine, deren knorrige Bäume nicht nur das Landschaftsbild prägen, sondern auch das Herz der kretischen Küche bilden. Das daraus gewonnene Olivenöl gilt als eines der reinsten und aromatischsten der Welt – ein echtes „flüssiges Gold“, das in jeder kretischen Familie einen Ehrenplatz in der Küche einnimmt. Bei einem Besuch in den traditionellen Dörfern, etwa in der Region um Archanes oder im bergigen Anogeia, wird man schnell feststellen, dass der Olivenanbau hier weit mehr als ein Wirtschaftszweig ist: Es ist eine Lebensart. Lokale Bauern, deren Familien seit Generationen auf die sorgfältige Kultivierung der Oliven setzen, erklären geduldig die handwerklichen Techniken der Kaltpressung und laden Besucher oft zu Verkostungen ein.

Die Kombination aus mildem Klima, mineralreichen Böden und liebevoller Pflege führt zu einem Olivenöl von unvergleichlicher Qualität. Dabei stehen Nachhaltigkeit und traditionelle Methoden hoch im Kurs – Werte, die den kretischen Olivenanbau auch in einer globalisierten Welt als Beispiel für eine harmonische Verbindung von Natur und Mensch hervorheben. Lediglich die aufwändige Wasserversorgung der Olivenhaine stellt die Erzeuger vor immer mehr Probleme, die letztlich auch der steigenden Zahl der Gewächshaus-Plantagen in der Region angelastet werden müssen.
Abseits der Massen – Authentische Reiseziele
Während viele Touristen in Kreta vor allem die bekannten Hotspots aufsuchen, bieten die abgelegeneren Regionen der Insel deutlich mehr Authentizität: In Bergdörfern wie Anogeia erlebt man das kretische Leben in seiner ursprünglichsten Form. Traditionelle Architektur, lebendige Volksmusik und ein unbeschreibliches Gefühl von Gemeinschaft. Hier trifft man auf Einheimische, die ihre Geschichten und Bräuche mit Stolz weitertragen und Besuchern einen tiefen Einblick in ihre Kultur gewähren. Das gilt gleichermaßen für das weniger bekannte Tal von Zaros.

Unser nächster Halt ist Agios Nikolaos, ein malerisches Fischerdorf am Fuße des Lassithi-Gebirges. Das Marktzentrum der Stadt zieht Besucher mit seiner Vielzahl von Ständen und Handwerksläden an. Der Hafen von Agios Nikolaos ist ein weiteres beliebtes Touristenziel, bevor es hinauf auf die Lassithi-Hochebene geht, die für ihre historischen Windmühlen bekannt ist. Mit diesen Mühlen wurde und werden teilweise auch heute noch die Felder bewässert.
Zurück in die Hauptstadt
Unser letzter Step führt uns nach Heraklion zurück – wo wir die beeindruckende Architektur der Stadt genießen können. Der antike Marktplatz von Heraklion ist ein Ort des Handels und der Kommunikation, während das Archäologische Museum eine beeindruckende Sammlung prähistorischer Artefakte zeigt. Es beherbergt Minoische Kunst und Kunsthandwerk, darunter die berühmte Phaistos-Plakette – ein antikes Fundstück aus dem 17. Jahrhundert v. Chr., das als Vorläufer des frühen Alphabets gilt, allerdings bis heute nicht final entschlüsselt ist. Die mittelalterliche Altstadt von Heraklion mit ihren geschichtsträchtigen Gebäuden und der malerische Hafen sind ein weiteres Muss für jeden Besucher von Kreta.

Gegensätze machen den Reiz aus
Kreta offenbart sich als eine Insel der Gegensätze: Einerseits pulsieren Geschichte, Naturwunder und kulinarische Traditionen in jeder Ecke, andererseits bieten die weniger bekannten Regionen Raum für authentische Erlebnisse und Ruhe abseits der üblichen Touristenpfade. Wer sich auf den Weg macht, um die landschaftliche Vielfalt zu erkunden, in die antike Geschichte einzutauchen und den traditionellen Olivenanbau mit der damit verbundenen regionalen Küche hautnah zu erleben, findet hier eine unerschöpfliche Quelle an Eindrücken und Inspirationen. Ein wichtiger Tipp für Entdecker: Tavernen ohne ausgehängte Speisekarte sind immer einen Besuch wert und sicher keine Touristenfallen!

Willkommen bei Freunden
Die Bewohner Kretas verstehen es, Fremde in ihr Leben aufzunehmen, als wären sie lang vermisste Freunde, die endlich nach Hause zurückgekehrt sind. In den traditionellen Tavernen, die oft das pulsierende Herz eines Dorfes darstellen, hört man das fröhliche Lachen und die lebendigen Gespräche, die von einer Generation zur nächsten weitergegeben werden. Hier wird nicht nur Essen geteilt, sondern auch Geschichten, Erinnerungen und die tiefe Liebe zur eigenen Kultur. Es ist, als ob jedes Gespräch, jeder Blick und jede Geste ein stilles Versprechen trägt: „Du bist willkommen, du bist ein Teil von uns“.